Roberto Simanowski
Bild zu Text: Face Codes
Eine Text-Bild-Beziehung, die die Bild-zu-Text-Transformation in ganz spezieller Form nutzt, bilden Andreas Müller-Pohles Face Codes (1998–99).1 Hier wurden Bilder aus verschiedenen in Kyoto and Tokyo aufgenommenen Videos herausgegriffen und digital so manipuliert, dass die Position von Kopf, Augen, Lippen und Kinn der handelnden Personen einem eingesetzten Muster angepasst wurde. Das Bild wurde dann als ASCII-File geöffnet und somit automatisch in Text verwandelt. Dieses Verfahren unterscheidet sich von der oben besprochenen Bild-Text-Transformation insofern, als das grafische Gebilde nicht durch die entsprechende Farbgebung der Buchstaben materialisiert, sondern in Buchstaben transformiert wird, die selbst keine an das Ausgangsbild gekoppelte visuelle Qualität besitzen: Das Bildformat geht verloren bis zur Rücktransformation ins Ausgangsmedium durch das Öffnen des Textes als Bilddatei. Müller-Pohle transformierte den ASCII-Text in Japanische Schrift, bestehend aus den Zeichensystemen Kanji, Hiragana, Katakana und Romaji. Er entnahm dem Ergebnis acht hintereinander stehende Kanji-Zeichen, die dem Bild, dem sie ursprünglich entstammten, im unteren Bereich aufgedruckt wurden, gewissermaßen als Signum des stattgehabten transmedialen Vorganges. Der Text auf dem Porträt ist zwar nicht lesbar und wirkt so eher als Dekoration des Bildes denn als dessen Beschreibung oder wenigstens Beschriftung. Gleichwohl ist es eine Dekoration, die dem Bild nicht hinzugegeben, sondern entnommen wurde. Es handelt sich um den ‚genetischen Code’ des Bildes, um sein unlesbares Metonym; es ist das Bild geklont als Text.
Im Hinblick auf McLuhans berühmte Formel the medium is the message betont Sybille Krämer: „Das Medium ist nicht einfach die Botschaft; vielmehr bewahrt sich an der Botschaft die Spur des Mediums“.2 Im vorliegenden Kontext lautet die Frage: Wie bewahrt sich die Spur eines Mediums in der Botschaft eines transmedialen Artefakts. Die Antwort hat mit den Botschaften der beteiligten Medien zu beginnen.
Im Falle von Andreas Müller-Pohles Face Codes ist zunächst der transmediale Prozess wichtig, auf dem das Bild vor dem Text beruht. Der Porträtierte wurde nicht fotografiert, sondern im Video festgehalten, also im Prozess seines Verhaltens. Dies ändert nichts daran, dass die Kamera sich zwischen ihn und sein Gegenüber schiebt und den Dialog mit diesem unterbricht. Der Aufgenommene antwortet nicht seinem Gegenüber, sondern, konfrontiert mit dem leeren Auge eines Aufnahmegeräts, nur sich selbst: Er rückt sich zurecht, inszeniert sich.3 Die Aufnahme trägt insofern die Spur ihres Mediums in sich, als dieses die eingenommene Pose durch die Dauer der Aufnahme wieder unterläuft. Indem der Fotograf dem Video schließlich ein Bild entnimmt, verstärkt er die Botschaft des Mediums Fotografie, die darin besteht, dem Porträtierten ein Bild zu entführen, über das dieser keine Herrschaft hat. Während in der normalen Begegnung – und auch noch im Video – jede Geste des Betrachteten in einem Zusammenhang des Verhaltens steht, den dieser relativ beherrschen kann, separiert das Foto das Verhalten einer Millisekunde als repräsentatives Abbild des anderen. Die Fotografie ermöglicht, den Aufgenommenen um diesen ansonsten nicht wahrnehmbaren Moment – ihm und seinem Gegenüber nicht wahrnehmbar – zu ‘berauben’.4 Diese ‘Enteignung’ des Bildes wird verdoppelt durch die manipulative Positionierung von Kopf, Augen, Lippen und Kinn mittels digitaler Technologie. Indem das Ergebnis in Text transformiert und dieser dem Bild aufgeprägt wird, präsentiert der Porträtierte die zugrundeliegende Einteignung wie ein Kainszeichen unter dem Kinn.
Christiane Paul kommentiert die Enteignung des Bildes in Face Codes wie folgt: „The initial ‘erasure’ of the individuality of people’s faces by means of a template points to the process of equalizing that occurs in the digital image, where any visual information ultimately is a calculable quantity. The concept of the human face as the sum of its data is further enhanced by the ‘subtitles’ that represent these data as a sign system.“5 Wichtig an dieser Bemerkung ist der Hinweis auf die Verwandlung der visuellen Information in eine kalkulierbare Menge durch das digitale Medium. Diese Manipulierbarkeit ist wiederum die Botschaft der digitalen Fotografie. Während die Fotografie traditionell die stattgehabte Anwesenheit des Präsentierten bezeichnete, ihre Botschaft also darin lag, eine Botschaft ohne Code zu vermitteln,6 bedeutet die Botschaft des Mediums digitale Fotografie die Rückkehr ins prä-fotografische Zeitalter der Malerei: Das abgebildete Image kann, so wie ein gemaltes Bild oder ein Text, keinen dokumentarischen Wert mehr einklagen, sondern steht im Zeichen des Zweifels.7
Die Beschriftung des Bildes durch seinen eigenen ,genetischen Code’ ist aus dieser Perspektive auch als ironischer Kommentar des Fotografen auf sein eigenes Handwerk lesbar. Die Botschaft des Ausgangsmediums – ,Enteignung’ des Bildes – wird durch die des Zielmediums – Transfer- und Manipulierbarkeit der vorliegenden Daten – verstärkt und metareflexiv gewendet. Das Kainszeichen auf dem Porträt ist im Grunde das Kainszeichen der digitalen Fotografie. Der Fotograf macht seine Anwesenheit auf dem Bild sichtbar, denn der ,genetische Code’ ist eher Symbol seines Eingriffs als der Identität des Porträtierten. Dass dieses Zeichen für die Individualität des Fotografen aus dem ,Fleisch’ des ,Opfers’ besteht, führt die Ironie ins Makabere.
Anmerkungen
1 Vgl. equivalence.com/labor/lab_mp_pro_12_fac.shtml.
2 Sybille Krämer, Das Medium als Spur und als Apparat, in: dies. (Hg.), Medien, Computer, Realität, Frankfurt am Main 22000, S. 73-94, hier S. 81.
3 Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt am Main 1985, S. 19.
4 Vgl. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders., Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt am Main 1963, S. 7-44, hier S. 36, der diesen Gedanken im Hinblick auf die Zeitlupe des Films entwickelt.
5 Christiane Paul, Digital Art, London 2003, S. 51.
6 Barthes sieht eine tautologische Beziehung zwischen dem Abgebildeten und der Abbildung, da die Abbildung das Abgebildete als solches voraussetzt und in identischer Weise festhält, und spricht daher von einer „message without code“ bzw. „literal message“ (Roland Barthes, The Rhetoric of Image, in: Liz Wells (ed.), The Photographic Reader, London and New York 2003, S. 114-125, hier S. 116), womit er freilich die Codierung des Abgebildeten durch die Technologie selbst unterschlägt.
7 Peter Lunefeld spricht vom digitalen Foto als „dubitative [doubtful] image“, das den gleichen Wahrheitsgehalt beanspruchen kann wie geschriebener Text und Malerei (Peter Lunefeld, Digital Photography. The Dubitative Image, in: ders., Snap to Grid. A User’s Guide to Digital Arts, Media, and Culture, Cambridge, Mass., and London 2000, S. 55-69, hier S. 61). Ein Beispiel für die Unglaubwürdigkeit der digitalen Fotografie sind Keith Cottinghams Fictious Portraits von 1992, in denen er mehreren Personen das gleiche Gesicht gibt.
Roberto Simanowski: Transmediale Kunst als Phänomen aktueller Ästhetisierungsprozesse. In: Urs Meyer, Roberto Simanowski, Christoph Zeller (Hrsg.): Transmedialität. Studien zu paraliterarischen Verfahren. Göttingen: Wallstein Verlag, 2006. ISBN 3-8353-0087-3