Lajos Adamik

Leben auf dem Mars

Das mattgrüne Steinmeer ist durch eine scharfe Horizontlinie vom erdbraunen Hügelgelände in der oberen Hälfte der Aufnahme getrennt. Weißgraue Felsen, bröckelnde Steinhaufen gehen in blaß-blaue Lüfte und rußige Wolkenkissen über; das Gewölbe der Mondwüstenlandschaft stößt an die tiefschwarze Nacht.

Der Fotograf und Fototheoretiker Andreas Müller-Pohle, Herausgeber der Zeitschrift European Photography, dem das ungarische Publikum im Jahre 1998 in der Budapester Kunsthalle zum ersten Mal begegnen konnte, schickte zwischen den Schutthalden, verödeten Grundstücken und verlassenen Militärobjekten um Marsdorf bei Dresden – in den Fußstapfen der Marsexpedition der NASA – ein ferngesteuertes Fahrzeug aus, um dann zehn bis fünfzehn Minuten lange Sequenzen der digitalen Videokamera auf dem Fahrzeug zu je einem Bild zu verdichten.

Die „Marsbilder“ sind nicht die ersten Arbeiten, mit denen Andreas Müller-Pohle die Identität und Identifizierbarkeit von konkreten „historischen“ Orten und Schauplätzen hinterfragt: In den Bildern der Albufera-Serie aus dem Jahre 1985 wurden die beliebte touristische Landschaft und die mit ihr verbundene schematische Sichtweise durch das Zerreissen der Negative und durch ihre absichtlich „fehlerhafte“ Zusammenfügung an den Rißlinien entlang entfremdet. In den Stücken der zwischen 1989 und 1999 entstandenen Serie Signa sind architektonische Symbole berühmter Städte – die Dome von Köln und Mailand, der Pariser Eiffelturm, der Kinkakuji-Tempel in Kyoto oder die Jerusalemer Klagemauer – auf Polaroidfilm festgehalten. Nur hat der Fotograf die Gebrauchsanweisung der Polaroidfilme, wonach das Positiv innerhalb von 60 Sekunden vom Negativ getrennt werden sollte, bewußt außer Acht gelassen: die Trennung hat er jeweils erst nach der „Heimkehr“ vom Reiseziel, vom Ort der Aufnahme, vollzogen. Die architektonischen Symbole verwandelten sich auf den dermaßen „überentwickelten“ Bildern in Zeichen der Auflösung, „die Bildikonen erstarrten”, wie ihre Schöpfer selbst sagt, „zu Fossilien“.

Im Gegensatz zu jenen, die die in anderthalb Jahrhunderten zur Historizität kanonisierten Bildtraditionen der Fotografie ungebrochen fortsetzen, versucht uns Andreas Müller-Pohle konsequent darauf aufmerksam zu machen, daß durch die Entwicklung der technischen Mittel der Fotografie und damit der Möglichkeiten der Bildmanipulation jedwede Bildtradition, Sichtweise und Sehgewohnkeit fragmentarisch, zweifelhaft, fragwürdig und anzweifelbar geworden ist. Kein Bild, das nicht auch anders sein könnte; die Endgültigkeiten haben ihre Gültigkeit endgültig verloren. Insofern könnten die Arbeiten von Andreas Müller-Pohle auch langweilig didaktisch, trockene Produkte einer aufklärerischen Attitude sein, würden sie durch die Sensibilität, Subtilität und Ironie der sie zustande bringenden Reflexion nicht mit der Spannung des Rätselhaften, Vielschichtigen und Offenen gefüllt. Man fragt sich neugierig, wohin wohl die nächste Expedition führen wird.

Lajos Adamik: Élet a Marson. Andreas Müller-Pohle: Sojourner II, 1997/99. Budapest: Balkon, Nr. 12/00–01/01, 2001. Übersetzung des Autors aus dem Ungarischen